Am 30.1.2020 beschloss die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung den Abriss des Schauspiels Frankfurt und der in demselben Gebäudekomplex untergebrachten Oper. Man entschied sich für diese Lösung, da ein Neubau kostengünstiger sei als eine Sanierung des bestehenden Baus. Darüber, wo der Neubau platziert werden soll, und darüber, ob Schauspiel und Oper weiterhin zusammen untergebracht werden sollen, gibt es bisher (Stand Februar 2020) keine Einigkeit. Teils wird die Auffassung vertreten, zumindest eine der beiden Bühnen solle am bisherigen Standort am Willy-Brandt-Platz verbleiben. Eventuell könnte die zweite Bühne dann in die Wallanlagen gebaut werden – was jedoch auf scharfe Kritik stößt. Der Vorschlag, ein Areal in der Nähe der neuen Europäischen Zentralbank zu nutzen, stößt ebenso auf Kritik, weil das Gelände zu weit außerhalb der Innenstadt liege; außerdem wäre erst ein mit einer Firma für das Grundstück bestehender Nutzungsvertrag zu lösen. So muss man wohl mit einem durch die Verwendung durch den Frankfurter Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki bekannt gewordenen Brecht-Zitat sagen: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen | Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“
Auch wenn die künftige Unterbringung des Hauses ungewiss ist, so ist doch eines sicher: Das Schauspiel Frankfurt wird weiterbestehen. Und der Umzug – wenn es denn einen gibt und nicht nur ein neues Gebäude am selben Platz – wird nicht der erste in seiner Geschichte sein.
Das erste Frankfurter Theatergebäude, das des Frankfurter Comoedienhauses – vorher hatte es in Frankfurt Theateraufführungen fahrender Truppen, aber keinen festen Theaterstandort gegeben –, befand sich an der Nordseite des nach ihm benannten Theaterplatzes – heute Walter-Rathenau-Platz. Für den 1782 eröffneten klassizistischen Bau zeichnete der Frankfurter Stadtbaumeister Johann Andreas Liebhardt (1713-1786) verantwortlich. Einer der ersten und gleichzeitig größten Höhepunkte der Frankfurter Theatergeschichte war die Uraufführung von Schillers „Kabale und Liebe“ am 13.4.1784.
Die erste Phase der Existenz des zunächst als Aktiengesellschaft geführten Frankfurter Theaters endete 1841. Ab 1842 wurde das Theater als Frankfurter Stadttheater von drei Unternehmern weitergeführt, von denen einer Carl Malß (1792-1848) war, ein Autor, der seinerzeit aufgrund seiner Dialektstücke große Popularität genoss. 1880 zog die Opernsparte in die heutige Alte Oper, doch trotz dieses Auszugs wurde das Theatergebäude für die Bedürfnisse der wachsenden Großstadt zu klein. Deshalb eröffnete 1902 am Gallustor in einem mächtigen Jugendstilbau ein neues Schauspielhaus, der Platz davor wurde zum Theaterplatz (heute Willy-Brandt-Platz). Damit hatte das Theater den Standort, den es heute noch hat – das Comoedienhaus wurde abgerissen.
1933 geriet das Theater wie alle offiziellen Kultureinrichtungen unter nationalsozialistischen Einfluss – obwohl Hans Meissner, der durch den NS-Oberbürgermeister Friedrich Krebs eingesetzte Generalintendant der Städtischen Bühnen Frankfurt, kein Nationalsozialist der ersten Stunde und politisch aufgrund seiner SPD-Vergangenheit sogar nicht unverdächtig war, kam es doch zu einer erheblichen Umorientierung des Programms im Sinne der Nazis. Diese Phase endete mit der fast vollständigen Zerstörung des Schauspielhauses bei einem Bombenangriff am 29.1.1944. Zwar wurde bis September 1944 noch ein Notbetrieb in wechselnden unzerstört gebliebenen Sälen in Frankfurt aufrecht erhalten, dann aber wie im gesamten Reich der Spielbetrieb eingestellt.
Bei der Wiederaufnahme des Spielbetriebes nach dem Krieg stellte sich das Raumproblem mit gleicher Schärfe. In den ersten Jahren wurde deshalb zunächst u. a. in der Frankfurter Börse gespielt, bevor am 14. Dezember 1963 mit Goethes Faust die sogenannte Theaterdoppelanlage – die, wie bis 1880, Sprechtheater und Oper an einem Standort zusammenführte – eröffnet werden konnte. Der neue Bau, der am Standort des alten am Willy-Brandt-Platz entstanden war, bezog einzelne Elemente des zerstörten Baus mit ein, hat aber einen völlig anderen Charakter – die funktionale Glasarchitektur steht in scharfem Kontrast zur Jugendstil-Prunkarchitektur vergangener Tage. Prägende Figur der Nachkriegsära war vor allem Harry Buckwitz, der 1951-68 in Frankfurt wirkte und ein zunehmend politisches Theater machte; unter anderem inszenierte er fünfzehn Stücke von Bertolt Brecht. Maßstäbe setzte im Anschluss die Präsenz von Peter Palitzsch (1972-1980), die ebenfalls dezidiert politisch und in dem auf 1968 folgenden, von scharfen Auseinandersetzungen bestimmten Jahrzehnt z. T. mit Skandalen verbunden war. In die Ära Palitzsch fiel auch die Einführung eines Mitbestimmungsmodells, das nach einigen Jahren 1981 durch die Stadtverordnetenversammlung beendet wurde, nachdem das Theater durch RAF-Sympathisanten besetzt und polizeilich geräumt worden war – vor Aufführungen war eine Solidaritätserklärung mit den Besetzern verlesen worden. Einen Skandal anderer Art gab es 1985, als unter der Intendanz von Günter Rühle die Aufführung des Fassbinder-Stücks „Der Müll, die Stadt und der Tod“ auf heftige Proteste stieß, weil das Stück als antisemitisch verstanden wurde. Höhepunkte der fünfjährigen Rühle-Ära waren die Regiearbeiten von Einar Schleef. In der neuesten Zeit führte Oliver Reese (ab 2009) das Theater zu Erfolgen und Besucherrekorden; als dieser 2017 ans Berliner Ensemble nach Berlin ging, folgte ihm Anselm Weber nach.
Derzeit hat das Schauspiel Frankfurt vier Spielstätten, neben dem Schauspielhaus die Kammerspiele (in der Neuen Mainzer Straße), die Box (wie das Schauspielhaus am Willy-Brandt-Platz) und das Bockenheimer Depot (am Carlo-Schmid-Platz). Das Schauspiel Frankfurt ist heute das größte Sprechtheater im Rhein-Main-Gebiet und bietet ein vielfältiges Programm von Theaterklassikern bis zum Gegenwartstheater. Renommierte Regisseure wie Michael Thalheimer oder René Pollesch haben in neuerer Zeit hier gearbeitet. Und am Renommée des Hauses wird sich auch nichts ändern, wenn es demnächst umziehen muss.
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Textquellen
Webpräsenz des Schauspiels Frankfurt abgerufen von >https://www.schauspielfrankfurt.de/startseite/< am 31.01.2020.
Städtische Bühnen Frankfurt am Main GmbH (Hrsg.): Ein Haus für das Theater: 50 Jahre Städtische Bühnen Frankfurt am Main, Leipzig: Henschel, 2013.
Busch, Sandra : Städtische Bühnen Frankfurt: Entscheidung gegen die Sanierung (Frankfurter Rundschau, 30.1.2020): abgerufen von > https://www.fr.de/frankfurt/staedtische-buehnen-frankfurt-entscheidung-gegen-sanierung-13512930.html< am 31.01.2020.
Trailer zu Inszenierungen des Schauspiels Frankfurt auf Youtube: abgerufen von >https://www.youtube.com/user/SchauspielFrankfurt< am 31.01.2020.
Bildquellen
Vorschaubild: Schauspielhaus Ffm, 2007, Urheber: dontworry via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.
Frankfurt am Main, Oper Frankfurt. Blick vom höchsten Rang des Zuschauerraums zur Bühne, 2013, Urheber:
Das Comoedienhaus war Frankfurter Stadttheater von 1782 bis 1902, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Das 1902 erbaute Schauspielhaus, 2019, Urheber:
Börsengebäude zum Lichtkunst-Festival Luminale, 2008, Urheber: Volkes Stimme via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.
Bockenheimer Depot, 2005, Urheber: User:Philipp Gross via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.