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Henry und Emma Budge-Stiftung

Henry und Emma Budge-Stiftung

Ralph Zade

In einem fensterlosen Raum im ersten Stock des Altenheims in der Wilhelmshöher Straße 279 im Frankfurter Stadtteil Seckbach befindet sich ein Dokumenten- und Medienarchiv. Archive mit geschäftlichen Akten und mit Angaben zu den Heimbewohnern mag es auch in anderen Altenheimen geben, doch dieses hier ist ein besonderes: es bewahrt vor allem Akten zur Geschichte der Henry und Emma-Budge Stiftung auf, der Stiftung, die Trägerin des Altenheims ist. Und das Altenheim ist noch durch eine weitere Besonderheit gekennzeichnet: Ein relativ großer Teil der Heimbewohner ist jüdischen Glaubens. Um die Hintergründe zu verstehen, und um zu begreifen, warum sich in Frankfurt, das an durch Bürgerengagement geschaffenen Stiftungen nicht arm ist, ausgerechnet ein Stifterehepaar mit englisch klingenden Namen als Wohltäter engagiert hat, ist es nötig, in die Geschichte der Stiftung zurückzugehen, die 2020 ihren hundertsten Geburtstag feiern konnte.

Henry Budge wurde 1840 in Wetzlar als Sohn des Wetzlarer Geschäftsmanns Moses Budge geboren. Er erhielt den Vornamen Heinrich, in „Henry“ benannte er sich erst später um. Der Name Budge ist eine dialektale Verballhornung von „Bundschuh“ – das Haus zum Bundschuh war das Wohnhaus der Familie – insofern ist es Zufall, dass er sich auch englisch aussprechen lässt. Moses Budge wurde 1849 unter dem Namen Moritz Budge Frankfurter Bürger. Heinrich trat nach seiner Schulbildung in das Geschäft seines Vaters ein und war dort als Prokurist tätig, wanderte dann aber 1866, als Frankfurt seine Unabhängigkeit verlor und zu Preußen kam, nach New York aus. Dort gründete er gemeinsam mit zwei anderen Kaufleuten Frankfurter Herkunft das Bankhaus Budge, Schiff & Co., das allerdings schon 1872 wieder aufgelöst wurde, dem Jahr, in dem Moritz Budge starb. Heinrich, der sich mittlerweile Henry nannte, kehrte zeitweise nach Frankfurt zurück, ging dann aber wieder nach New York und beteiligte sich dort am Bankhaus Hallgarten & Co, das sich besonders im Bereich des Eisenbahnwesens engagierte. Das Investment war höchst erfolgreich. 1879 heiratete Budge die gebürtige Hamburgerin Emma Lazarus (*1852), die ihn in die USA begleitete und dort ebenfalls die Staatsangehörigkeit erwarb. 1903 zog er sich als Multimillionär aus dem Geschäft zurück und das Paar siedelte nach Hamburg über. Durch Umbau einer bestehenden Villa entstand das Budge-Palais in Hamburg-Harvestehude, ein repräsentativer Bau, der bald zu einem Zentrum des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens der Zeit wurde. Die Budges verfügten auch über eine der bedeutendsten privaten Kunstsammlungen der Zeit, die nicht nur Gemälde, sondern auch Porzellan umfasste.

Das Ehepaar gründete auch mehrere wohltätige Stiftungen. Die heute noch in Frankfurt existierende Stiftung wurde 1920 zum 80. Geburtstag von Henry Budge in Lugano gegründet. Ursprünglich sollte die Stiftung der Gründung eines Erholungsheims für Juden und Christen im Frankfurter Umland dienen, dieser Zweck wurde dann aber 1928 auf Initiative der Stadt Frankfurt in den Bau eines Altenheims geändert. 1928 starb Henry Budge.

Der Altenheimbau, der nun auf dem Grünhof-Gelände im Frankfurter Westend entstand, ist architektonisch dem Umfeld des „Neuen Frankfurt“ zuzuordnen, jener Strömung der Architekturmoderne also, die sich aufgrund der Frankfurter Baupolitik unter der Leitung des Stadtbaurats Ernst May entwickelte und in Deutschland nur im Bauhaus ihresgleichen fand. Die Architekten Ferdinand Kramer, Werner Moser, Mart Stam und Erika Habermann wollten, wie der Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“ zu entnehmen war, neue Wege in der Altenheimarchitektur gehen:

„Gib jedem Rentner möglichst viel Bewegungsfläche. Sperr ihn nicht ein in ein Zimmer, in eine Schachtel, sondern laß ihn, solange seine Kräfte es erlauben, mindestens seine Terrasse und den Garten ebenfalls als ihm gehörend betrachten. Das heißt: die Zimmer möglichst mit offener Verbindung mit dem Garten bzw. der Terrasse. Das heißt auch: baue möglichst niedrig.“

Der zweigeschossige, lichtdurchflutete Bau, der nach diesen Prinzipien entstand und 106 Bewohner aufnahm, die nach dem Stiftungsstatut zur Hälfte jüdischen und zur Hälfte christlichen Glaubens sein sollten, konnte seinen Zweck allerdings nur kurze Zeit erfüllen. Das Konzept der Stiftung und die jüdische Abkunft ihrer Gründer waren den ab 1933 auch in Frankfurt regierenden Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. 1939 wurden die letzten Bewohner vertrieben. 1941 wurde die Stiftung aufgelöst. Das Heim wurde in „Haus am Dornbusch“ umbenannt, im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört, dann von den Amerikanern beschlagnahmt und ist nach einer zwischenzeitlichen Nutzung als Zahnklinik heute ein Altenpflegeheim, das von einem anderen Träger geführt wird. Emma Budge war 1937 gestorben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg machten Vertreter der Henry und Emma Budge-Stiftung Wiedergutmachungsansprüche geltend. 1956 konnte sie neu gegründet werden und ist seit 1968 am heutigen Standort tätig. 2003 wurde eine neue Wohnanlage mit 170 Altenwohnungen errichtet, die alle behindertengerecht sind. Die dem Stiftungszweck entsprechende paritätische Belegung mit jüdischen und christlichen Bewohnern ist nicht ganz verwirklicht – es gibt mehr Christen als Juden, weil die jüdische Gemeinde in Frankfurt zwar eine der größten in Deutschland ist, aber eben zahlenmäßig im Vergleich doch recht klein. Insgesamt ist die Nachfrage nach den Wohnplätzen aber sehr groß und die jüdisch-christliche Ausrichtung absolut ungewöhnlich – die Einrichtung ist die einzige Alteneinrichtung in ganz Europa, in der Juden und Christen in dieser Form zusammenleben.

Eine aus 23 Basaltstelen bestehende Gedenkstätte auf dem Stiftungsgelände, die 2011 errichtet wurde, erinnert an die 23 Heimbewohner, die den nationalsozialistischen Terror nicht überlebt haben. Der Historiker Volker Hütte hat die bewegte Geschichte der Stiftung in einer Festschrift zum 100. Jubiläum aufgearbeitet und auch das eingangs beschriebene Archiv eingerichtet. Einige Überlebende der Shoah, die im Heim leben, treten vor Schulklassen als Zeitzeugen auf.

Henry und Emma Budge sind in einem gemeinsamen Grab auf dem Alten jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße begraben.

 

 

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Textquellen:

Hütte, Volker: 100 Jahre Henry und Emma Budge-Stiftung in Frankfurt am Main 1920 bis 2020 – Gründung – Auflösung – Wiedereinsetzung, Frankfurt am Main, 2020.

Homepage der Stiftung abgerufen von >https://www.budge-stiftung.de/< am 11.06.2024.

Webseite zu Henry und Emma Budge auf „Das jüdische Hamburg“ abgerufen von  >https://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/budge-henry-und-emma< am 11.06.2024.

Henry Budge in der Hessischen Biographie abgerufen von >https://www.lagis-hessen.de/pnd/118664441< am 11.06.2024.

Hock, Sabine: Budge, Henry: Artikel aus der Frankfurter Biographie (1994/96) in: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe) abgerufen von >https://frankfurter-personenlexikon.de/node/1901< am 11.06.2024.

Beitrag von Lore Kramer zur Baugeschichte des ersten Altenheimbaus abgerufen von >https://e-pub.uni-weimar.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/1066/file/Lore_Kramer_pdfa.pdf< am 11.06.2024.

Kramer, Ferdinand; Moser, Werner; Stam, Mart: Das Altersheim der Henry und Emma Budge·Stiftung in Frankfurt a. M. in: Das Neue Frankfurt. - ( 1930) 7. - S. 157-176 (daraus das Zitat „Gib jedem Rentner ...“).

Beitrag der Frankfurter Rundschau zum Archiv abgerufen von >https://www.fr.de/frankfurt/gedaechtnis-budge-stiftung-11658967.html< am 11.06.2024.

Beitrag der Frankfurter Rundschau zum Heim abgerufen von >https://www.fr.de/frankfurt/einzigartiges-heim-11043928.html< am 11.06.2024.

 

Bildquellen:

Vorschaubild: Straßenseite des Seniorenheims, 2007, Urheber: dontworry via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.

Henry und Emma Budge-Stiftung, 2018, Urheber: Thomas Kroemer via Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0.

Grab auf dem Friedhof an der Rat-Beil-Straße in Frankfurt am Main, 2016, Urheber: dontworry via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.

 

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